Lollapalooza Berlin (Tag 2)

Auf ein Festival gehen nur wegen einer einzigen Band? Nunja, wenn das von mir aus mit dem Fahrrad erreichbar ist und ein Ein-Tages-Ticket weniger kostet, als ich schonmal für ein Konzertticket der besagten Band gelöhnt habe, warum nicht? Kurzum: ich war heute auf dem Lollapalooza im Treptower Park in Berlin.

Was gab es im Vorfeld dieses Festivals für Querelen. Letztes Jahr fand es noch auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof statt, doch das ging dieses Jahr nicht mehr. Als Ausweich-Location wurde der Treptower Park ins Spiel gebracht und schon Tickets verkauft, angeblich bevor das ganze überhaupt genehmigt war. Bis zuletzt haben Anwohner und andere Interessengruppen noch versucht, das Vorhaben zu kippen. Zugegeben, ein Musikfestival mit 70.000 Leuten in einer Gartenanlage keinen Steinwurf von einem Mahnmal und Soldatenfriedhof durchzuführen klingt nicht gerade nach einer genialen Idee.

Unterdessen beschwichtigten alle Beteiligten, dass das nur eine einmalige Angelegenheit sein wird. Es würde mich aber nach dem Theater auch nicht überraschen, wenn das generell das letzte Lollapalooza in Berlin war. Na mal schauen, Politik beiseite, eigentlich geht’s ja um Musik. Und weil ich seit einer Weile mal wieder Radiohead sehen wollte, habe ich mir eben ein Ticket für den Sonntag gekauft.

An sich wären heute auch noch ein paar andere Künstler infrage gekommen. Am frühen Nachmittag spielten schon die gehypten Österreicher von Bilderbuch, für mich aber kein Grund, früher aufzustehen. Etwas später wären Milky Chance dran gewesen, die ich schonmal kurz auf dem Melt! gesehen hatte. Nachdem ich aber festgestellt habe, dass man zwischen den Bühnen im Gedränge auch mal eine gute halbe Stunde laufen kann, hab ich auch das links liegen gelassen.

Róisín Murphy

Róisín MurphySo richtig Lust auf Festival hatte ich also nicht. Menschengedränge, knallende Sonne und 30 Grad im Schatten sind bei mir schon einzeln Gründe, lieber zuhause zu bleiben. Aber um das Gewissen zu beruhigen, wollte ich mir immerhin Róisín Murphy mal anschauen. Mit „The Time is now“ schuf sie, damals noch als Sängerin des Triphop-Duos Moloko einen der letzten zeitlosen Klassiker des ausgehenden Jahrtausends. Die Band löste sich auf und seitdem wandelt die Irin mit der markanten Stimme unregelmäßig auf Solo-Pfaden. Zwar kamen dabei mittlerweile auch vier Alben rum, deren Einfluss beschränkt sich aber wohl hauptsächlich auf Fans. Von dem, was ich bisher von Murphy gesehen habe (beispielsweise die Fotos aus ihrem Wikipedia-Artikel), erwartete ich eine tanzbare, aber mehr oder weniger gediegende Veranstaltung, eventuell vergleichbar mit Goldfrapp.

Róisín MurphyDoch da habe ich die Unterhalterqualitäten dieser Frau gehörig unterschätzt. Ihre Performance gestaltete sich hochgradig unterhaltsam, da sie sich an einem reichen Fundus an schrägen Klamotten verging, den sie in den unmöglichsten Kombinationen auftrug. Das erinnerte eher an Björk, nur ohne tieferen Sinn und alle paar Minuten komplett anders. Masken mit Absperrband-Fransen, unförmige Sonnenbrillen, Rüschen-Röcke oder die Skulptur eines toten Flamingos als Hut… nun habe ich vermutlich alles gesehen. Bei den zugehörigen mehrdeutigen Tanzbewegungen fragte ich mich bisweilen, wie die paar Kinder im Publikum das wohl gedeutet haben mögen. Ein gestörtes Verhältnis zu ihrem Körper würde ich Róisín Murphy jedenfalls nicht attestieren.


Róisín Murphy „Ten Miles High“ on Vimeo.

Es war erfrischend, wie wenig ernst sich die Künstlerin nahm („thank you for being so open-minded, I need that“), obwohl sie musikalisch durchaus ernst zu nehmen ist. Die Musik war durchgängig tanzbar, sodass das Konzert sowohl gute Laune induzierte, als auch in die Beine ging. Eine sehr positive Überraschung. Und wer sich (wie ich) fragt, wie sich Murphys Vorname eigentlich ausspricht: es ist in etwa „Roschien“.

Major Lazer

Nach diesem erheiternden Erlebnis drückte ich mir erstmal ein Brötchen mit Pulled Pork ins grinsende Gesicht und begab mich auf den langen Weg zu den Hauptbühnen. Dort spielten Major Lazer auf, ein Phänomen, das mir schon viel beschrieben wurde und das ich mir nun auch mal selbst anschauen wollte. Und was soll ich sagen, die Beschreibungen sind soweit korrekt, also kann ich sie hier auch sinngemäß wiedergeben:

Die Musik kommt komplett von der Konserve, dafür machen die Typen eine Art interaktives Animationsprogramm mit dem Publikum. Und die Zuschauer gehen entsprechend auch mit. Selbst ganz hinten, von wo ich das Treiben eine Weile beobachtete, und wo normalerweise auf Festivals Leute stehen, die sich laut darüber unterhalten, was sie alles gesehen haben und dabei was essen… jedenfalls selbst dort hinten folgten die Leute den Befehlen des Majors nach Vervollständigung von Sätzen oder entsprechenden Bewegungen.

Ein bisschen irritierend fand ich das schon, und die Musik zugegeben ziemlich Scheiße. Aber nun weiß ich wenigstens, was es damit auf sich hat 🙂

Weiter also nach nebenan, wo sich bereits eine Stunde vor Konzertbeginn kein besonders guter Platz für Radiohead mehr ergattern ließ. Also etwas weiter seitlich in den Dreck gesetzt und abgewartet, bis das Unz-Unz des Majors verstummte und endlich die Band erschien, wegen der ich mir das Gedränge überhaupt angetan habe.

Radiohead

Ich sehe die Band jetzt das dritte Mal live, nachdem ich mir beim ersten Mal geschworen hatte, jedes Berliner Konzert mitzunehmen. Und wie bisher wurde ich auch diesmal nicht enttäuscht. Da ich mich als veritablen Fan bezeichnen würde, ist dieser Fall aber auch recht unwahrscheinlich.

Die Briten schöpften während des Konzerts aus ihrem sehr umfangreichen Gesamtwerk. Nach einigen Stücken des neusten Albums „A Moon shaped Pool“ standen erstaunlich viele sehr alte Stücke auf der Playlist. Darunter waren beispielsweise „Street Spirit“ von ’95 oder sogar das aus Gründen lange Zeit gar nicht mehr gespielte „Creep“. Und was mich überraschte: Das Festivalpublikum konnte alles mitsingen – es waren offenbar genug richtige Fans zugegen.

Die Band spielte mindestens einen Song von jedem Album, das sie bisher veröffentlicht hat – mit Ausnahme des Albums, das meine persönliche Einstiegsdroge war (Amnesiac). Aber genug rumgenerdet, wer mit Radiohead was anfangen kann, sollte sie sich mal live anschauen. Man kann dort 5-6 Profis auf der Bühne beobachten (seit ein paar Jahren treten sie mit einem zweiten Drummer auf), die jeden noch so verqueren Song tatsächlich live einspielen. Wer sie aber eher so meh findet oder wem die Stimme von Thom Yorke auf den Keks geht, wird bei einem Konzert auch nicht zum Fan.


Radiohead „Weird Fishes/Arpeggi“ on Vimeo.

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