Drei Tage in Folge, es geht schon Nachmittags los und für jeden Termin zwei andere Vorbands… was die Ärzte da auf dem temporär umfirmierten Flughafen DÄmpelhof veranstalten, könnte man eigentlich „Festival“ nennen. Die umliegenden Wohngebiete (einschließlich meinem) haben zwar auch ohne Ticket was von der Beschallung, für das Finale verschlägt es jedoch auch mich in das Getümmel zehntausender Angereister.
Am heutigen Sonntag gibt es Cari Cari und die Donots als Support zu bewundern. Von ersteren fand zumindest schon ein Song vor ein paar Jahren den Weg in meine Playlist, die hätte ich mir gern angeschaut. Zu der Zeit, als deren erste Klänge ertönten, stehe ich aber noch am Herd und koche Nudeln. Die Sound-Sauce, die dazu vom Feld rüberschwappt, klingt aber ganz gut. Ich werde mir das mal näher anhören.
Donots
Als ich endlich die Besucherschleuse durchschreite, erfolgt gerade die Ansage für die Donots. Die gibt’s gemäß dem großen Transparent auf der Bühne zwar auch schon 30 Jahre, sie sind mir aber noch nie untergekommen. Die ersten Klänge holen mich auch nicht unbedingt ab… bisschen punkig, ziemlich rockig, teilweise eher grölig… kann man machen, aber brauch ich jetzt nicht ständig auf den Ohren. Zwischendurch kommen aber auch ein paar Stücke, die musikalisch etwas ausgefeilter sind – ich bin etwas hin- und hergerissen. Ich glaube, ich muss mich da mal etwas tiefer in die Diskografie reinhören.
Über die Show, die sie hier heute abziehen, kann ich aber nicht meckern. Der Sänger stürzt sich trotz seiner bald 50 Jahre in die Pit und singt beim Crowdsurfen. Und obwohl ich generell kein Freund riesiger Menschenmengen bin: Wenn auf den großen Bildschirmen neben der Bühne mal ein Kameraschwenk über 40.000 hüpfende Menschen zu sehen ist, dann ist das schon ein erhebendes Gefühl. Der Unterhaltungswert ist in jedem Fall sehr hoch, ich kann mir das Grinsen nicht verkneifen.
Die Ärzte
„… auuus Berlin“ beginnen dann ziemlich pünktlich gegen 19 Uhr. Ich habe mich in der Pause etwas weiter nach vorne bewegt, um das Spektakel nicht nur auf den angesprochenen Bildschirmen verfolgen zu können. Dennoch läuft hier alles sehr zivilisiert ab, kein Gedrängel, kein Gerempel (es sei denn man will’s unbedingt wissen in der Pit), Ärzte-Fans sind offenbar sehr umgänglich.
Ich muss ja zugeben, mich selbst würde ich keinen „Fän“ nennen. Immerhin gibt es die Band schon fast so lange wie mich, und trotzdem ist das heute mein erstes Konzert. Zudem ist die Zeit, in der ich mehr von den Ärzten mitbekommen habe, mittlerweile bald 20 Jahre her. Aber da ich einige Leute kenne, die von den Liveshows immer ganz angetan sind, schau ich mir das halt mal an.
Die zwei Herren und „der Neue“ haben die Meute jedenfalls im Griff. Es gibt zwar nicht ganz soviel gemoshe wie beim Support, dafür aber ziemlich viele Anekdoten und Geplänkel zwischen Bela B. und Farin Urlaub auf der Bühne. Bei drei Stunden Spielzeit und einer Setlist mit 40 Stücken lässt sich ihnen aber definitiv nicht vorwerfen, dass sie mehr Songs spielen und weniger labern sollen. Etwa die Hälfte der gespielten Stücke sind mir zwar kein Begriff. Durch die Zwischentöne und immer wieder eingestreuten Kracher bin ich aber trotzdem die ganze Zeit bei der Stange.
Vor dem Konzert hätte ich die Ärzte in meiner Erinnerung eher in die Fun-Punk-Ecke gesteckt (wo Stücke wie „Nie wieder Krieg, nie mehr Las Vegas!“ oder „Gehn wie ein Ägypter“ auch definitiv hingehören). Bei anderen Songs allerdings („1/2 Lovesong“, „Wie es geht“) ist mir aber wieder aufgefallen, dass ich mit ihnen auch ernsthaftere, bewegende Erinnerungen verbinde.
Auch in den Ansagen werden im Lauf des Abends ernstere Töne angeschlagen. Neben all dem Spaß ist es ja bekannt, dass sich die Ärzte auch politisch klar positionieren. Dass das keine Anbiederung an den Zeitgeist ist, davon zeugen Lieder wie das unvermeidliche „Schrei nach Liebe“, das einerseits zwar nach wie vor aktuell, andererseits doch ziemlich aus der Zeit gefallen ist. Anfang der 90er, als es geschrieben wurde, war der Adressat noch jung, glatzköpfig, trug Bomberjacke und Baseballschläger. Heute ist das Bild viel diffuser. Selbst unscheinbare Leute mittleren Alters mit gesetztem Auskommen sind sich nicht zu schade, aus vermeintlicher Kontra-Haltung gegen „die da oben“ eine Partei zu wählen, deren Versprechen nicht ist, dafür zu sorgen, dass es ihnen besser, sondern dass es anderen schlechter geht. Vor diesem Hintergrund hat leider „Deine Schuld“ für mich auch ein Geschmäckle, da der Song ebenso von genau jenen vereinnahmt werden kann.
Die Ärzte versuchen aber, allem Defätismus zum Trotz auch einen Zukunftsentwurf entgegenzustellen. Nicht nur mit ihren Songs, sondern auch durch die Organisation dieser Veranstaltung. Der Strom ist aus Erneuerbaren, es gibt Mehrweg-Geschirr an den Ständen, das Catering ist vegetarisch, Viva con agua sammelt Pfandbecher um damit Brunnen zu bauen – und selbst die gesammelten Ausscheidungen des Publikums werden für Dünger wiederverwertet. Eine bessere und nachhaltige Welt ist machbar. Und wem bei diesen Worten als erstes der Begriff „Ökodiktatur“ eingefallen ist, möge sich gepflegt zwischen die Beine getreten fühlen.
Fazit
Nicht alles hat gezündet, aber genug, um den Funken der Hoffnung in mir zu entfachen. Hoffnung darauf, dass die aus allen Teilen der Republik Angereisten heute Motivation und Energie tanken konnten. Darauf, dass nicht allen alles egal ist. Und darauf, dass die Ärzte noch viele weitere Jahre Rezepte ausstellen. Ich würde es mir jedenfalls auch nochmal geben.