Das wird heute das vierte Mal, dass ich die Künstlerin live sehe. Dennoch ist das letzte Mal schon Ewigkeiten her. Fast zehn Jahre nämlich, um ungenau zu sein. Zeit für eine Auffrischung, diesmal im tiefsten Westen Berlins, im schmucken Sendesaal des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB).
Es geht auch pünktlich und ohne Support los. Nach kurzer Einleitung des Band-Pianisten betreten Torrini ganz in Rot und drei weitere Musiker*innen die riesige Bühne des Sendesaals. Gespielt wird die meiste Zeit in der klassischen Kombination Gitarre, Bass, Schlagzeug und Tasten. Die Künstlerin selbst konzentriert sich wie üblich auf den Gesang und die Anekdoten zwischen den Stücken.
Dieses Jahr erschien nach mehrjähriger Schaffenszeit ein neues Album. Unter dessen Titel „Miss Flower“ steht auch die heutige Tour. Zugegeben hat mich das neue Material nicht aus den Socken gehauen, die meisten der Stücke reizen mich nicht besonders. Auch das, was mich an Torrini immer sehr begeistert hat – nämlich die Komposition und oftmals vermeintlich schlichte Instrumentierung, in der doch jeder eingestreute Klang einen Zweck erfüllt – kommt diesmal für meinen Geschmack zu kurz. Aber live kann das alles ja ganz anders wirken. Und da ich Emilíana Torrini ja auch nicht zum ersten Mal sehe, weiß ich auch, dass sie eine grundsympathische Frau ist, deren Persönlichkeit über den Abend tragen wird.
Allerdings habe ich tatsächlich meine Schwierigkeiten mit dem ersten Drittel des Konzerts, das nur aus Stücken des neuen Albums besteht. Soweit ich die Ansagen zwischendurch interpretiere, handelt es sich um ein Konzeptalbum: Die Mutter der Frau eines Bandmitglieds (besagte „Miss Flower“) hinterließ nach ihrem Tode einen Haufen Briefe von ihren Liebschaften. Das Konzept bestand nun darin, Anekdoten aus diesen Briefen musikalisch zu verarbeiten. Leider fühlen sich diese Anekdoten für mich aber so an, wie früher meine Familienfeiern: Die „Alten“ tauschen Geschichten über Menschen aus, die ich nicht kenne – und diese Geschichten haben weder eine Pointe, noch sind sie sonderlich amüsant. Nach einer der Ansagen, die gefühlt länger (und langweiliger) war als das zugehörige Stück, habe ich das Gefühl, sie verliert mich. Das kann nicht mal die Tatsache retten, dass die Isländerin versucht, große Teile auf gar nicht mal schlechtem Deutsch zu erzählen.
Meine Befürchtung, dass sie heute das komplette neue Album spielt und damit inklusive Ansagen dann anderthalb Stunden füllt, soll sich aber glücklicherweise nicht bewahrheiten. Nach dem möglicherweise kurzweiligsten und groovigsten „Miss Flower“-Stück („Let’s keep dancing“) geht sie über zu ihren älteren Songs. Der Wechsel drückt sich unmittelbar in meiner Begeisterung aus: War alles vorher für mich ziemlich belanglos, so geht mir jetzt das Herz auf.
Erstes definitives Highlight des Abends ist für mich „Nothing brings me down“, was trotz seines Alters von über zwei Dekaden nichts von seinem Reiz verloren hat. Es folgt ein Set, das für mich keine Hänger mehr enthält, sodass am Ende fast vergessen ist, was mich am Anfang störte. Etwas irritiert bin ich über ihre Aussage, dass sie für die Setlist auch ein paar Stücke ausgewählt hat, die „keiner kennt“, und sie dann immer froh ist, wenn ein paar Leute im Publikum es doch erkennen – und dann kommt „Tookah“. Also ich weiß ja nicht, hätte sie heute dieses 2013er-Album in Gänze gespielt, wäre ich nicht enttäuscht gewesen.
Fazit
Nunja, mal schauen, was Emilíana Torrini in der Zukunft noch anstellt. Wahrscheinlich würde ich trotz des holprigen Starts wieder hingehen. Allein für „Birds“ würde es sich für mich immer lohnen. Ich habe heute beschlossen, dass dies der Song ist, der gespielt werden sollte, wenn ich mal den Löffel abgebe.