Iceland Airwaves 2023 – Tag 1 (02.11.2023)

Dieses Jahr verschlug es mich erstmals zum Iceland Airwaves nach Reykjavík. Dort spielen über drei Tage verschiedene Acts auf zahlreichen mehr oder weniger offiziellen Bühnen. Der Schwerpunkt liegt auf skandinavischen und isländischen Bands und Künstler*innen, das Genre ist aber nicht festgelegt. Kann die Musik trotz der Temperaturen um den Nullpunkt Körper und Herz erwärmen?

Zur Einstimmung auf das Festival gab es bereits am Vortag – also streng genommen am Tag 0 – vereinzelte Konzerte, die außerhalb des regulären Programms angeboten wurden.

Katarina Barruk

Anlässlich der Veranstaltung Arctic Waves verschlug es mich daher ins Nordic House zu Katarina Barruk aus Norwegen. Sie singt in ihrer Muttersprache Umesámisch, die nur noch von ein paar Dutzend Menschen gesprochen wird. Barruk will das explizit nicht als Gimmick verstanden wissen, sondern fungiert als Vertreterin der indigenen Minderheit der Sámi in den nordischen Ländern, die für Anerkennung und politische Rechte kämpfen.

Katarina Barruk

Musikalisch ist das natürlich unkonventionell, aber ich bin ja auch hier, um zu schauen, was es hinter meinem (mehrheitlich englischsprachigen) Musikhorizont zu entdecken gibt. Und die heutige Performance von Katarina Barruk ist in der Tat eine Erfahrung. Zwischendurch gibt sie genug Kontext, dass man auch ohne Textverständnis ein Gefühl dafür bekommt, was durch die Stücke ausgedrückt wird. Der Gesang ist dabei das eine, aber Barruk wirft sich heute im wahrsten Sinne mit Leib und Seele in die Wogen der Musik. Sehr mitreißend.

Anspieltipp: Jïmmatie

Anschließend folgen noch ein grönländischer DJ und eine ebenfalls grönländische Metalband, deren Drummer ich gern ein Metronom geschenkt hätte. So weit geht meine heutige Experimentierfreude dann doch nicht, also Wechsel in eine andere Location.

Jae Tyler

Jae Tyler

Im Iðnó spielt zum Ausklang des Abends noch der Amerikaner und mittlerweile Wahlberliner Jae Tyler. Allzuviel kann ich zu dem Konzert nicht sagen. Es ist zwar nicht so abschreckend, dass ich gleich wieder davongerannt bin, aber auch nicht sonderlich einprägsam. Die Bassistin und die Schlagzeugerin sind on point. Aber der Frontmann und Namensgeber, der optisch der Vater der beiden hätte sein können, wirkte dem Habitus nach im Schuljungenalter stecken geblieben – die kurzen Hosen haben da nicht geholfen. Musikalisch fasst eine Begleitung den unten stehenden Anspieltipp ganz gut zusammen: „Der langweiligste Song über Marihuana, den ich je gehört habe“.

Anspieltipp: Marijunana


Aber genug des Vorgeplänkels, los geht’s mit dem offiziellen Programm des Iceland Airwaves.

Kvikindi

Kvikindi

Mit irgendwas muss man ja beginnen. Die Festivalbeschreibung verspricht mit Kvikindi ein „Dance Punk Phenomenon“, klingt extravagant.

Auf der Bühne findet sich die Kombination aus Schlagzeug, E-Gitarre, Tasten und Gesang. Musikalisch trifft die obige Beschreibung den Stil ganz gut. Nix zum Stillstehen, wenngleich ich wegen des Gesangs auf isländisch nicht verstehe, wozu ich da eigentlich gerade zapple. Frontsängerin Brynhildur Karlsdóttir hält trotz offensichtlichem Schwangerschaftsbauch das Tempo hoch, Respekt.

Wäre aufgrund der Sprache und wegen viel Autotune-Einsatz nicht unbedingt was, das ich täglich auf den Ohren haben möchte, aber für die vierzig Minuten heute hat das Spaß gemacht.

Anspieltipp: Okei

Elín Hall

Als Kontrastprogramm dazu geht’s anschließend in die Fríkirkjan zu Elín Hall. Sie verfolgt eher einen klassischen Singer-Songwriter-Stil mit Gitarre und dezenter Begleitung.

Elín Hall

Auch sie singt auf isländisch. Aber da viele Angereiste der Sprache natürlich nicht mächtig sind, hat sie auf den Fenstersimsen QR-Codes zu ChatGPT-übersetzten Texten ihrer Setlist ausgelegt. Eine sinnvolle Anwendung moderner Technik, finde ich auf jeden Fall kreativ. Und auch sonst kann mich die juge Frau mit ihrem trockenen Humor begeistern. Die Titel werden zwischendurch mit persönlichen Anekdoten aus der Entstehungsgeschichte ausgeschmückt, die für einige Lacher sorgen. Ihre Ansagen habe ich als die besten des ganzen Festivals in Erinnerung.

Als Fazit würde ich sogar behaupten, dass ich mir trotz der Sprachbarriere das eine oder andere Stück auf die Ohren geben würde. Darunter den Anspieltipp, den sie für den Abspann eines isländischen Thrillers schrieb, in dem sie auch eine Hauptrolle spielt.

Anspieltipp: Rauðir drauma

Caleb Kunle

Caleb Kunle

Zur Abwechslung stehen als nächstes etwas gewöhnlichere Töne auf dem Programm. Caleb Kunle bringt eine soulige Melange mit Einflüssen aus Nigeria, Irland und England auf die Bühne, den drei Orten, die er auch sein zuhause nennt. Leider verlor ich zu Beginn des Konzerts einen meiner kürzlich angepriesenen Gehörschutz-Stöpsel (Spezialanfertigung), weswegen ich gedanklich die längste Zeit des Konzerts damit ringe, dass dieser Trip noch wesentlich teurer wird, als er aufgrund isländischer Preise eh schon ist.

Dafür kann der Künstler aber nichts, und grundsätzlich finde ich den Stil auch sehr gefällig. Der Rhythmus geht nicht nur dem Publikum in die Beine und ich hatte zwischenzeitlich den Eindruck, dass die Bühne auch etwas zu klein für ihn war. Während einer ausladenden Percussion-Einlage erwischt er mit dem Tamburin den Decken-Beamer – ich hoffe, der hat’s überlebt. Ich werde Kunle jedenfalls mal auf den diversen Musikdiensten folgen und schauen, was er künftig noch veröffentlicht. Neuigkeitswert für mich: Ein Bandmitglied spielt zwei Saxophone gleichzeitig – und das klingt sogar gut.

Anspieltipp: All in your Head

Wie durch ein Wunder habe ich übrigens nach dem Konzert, als der größte Teil der Gäste den Raum verlassen hat, meinen Ohrstöpsel auf dem Boden wiedergefunden… die Laune ist gerettet 🙂

Superserious

Superserious

Weiter geht’s ins Gamla Bíó, einem alten Kinosaal. Dort treten die Isländer Superserious auf, die relativ klassischen, englischsprachigen (Punk-)Rock spielen. Nach den bisherigen Künstler*innen finde ich das aber ziemlich unspektakulär. Da stehen mehr Leute auf der Bühne als die Stücke Akkorde haben, finde ich eher superboring.

Okay, hartes Urteil, vielleicht einfach die falsche Musik zur falschen Zeit. Ich bin mir sicher, dass andere dazu ganz gut feiern können, aber mir ist das zu fröhlich und belanglos.

Anspieltipp: Bye bye Honey

Ásdís

Ásdís

À propos fröhlich und belanglos: als nächstes geht’s zur isländischen Wahlberlinerin Ásdís. Die kennen Eingeweihte (zu denen ich nicht gehöre) vielleicht von ihren Kollaborationen mit anderen Musikprojekten, denen sie ihre kraftvolle Stimme leiht. Aber eine Handvoll eigener Stücke hat sie auch im Gepäck. Beschreiben lässt sich das als Elektropop, der keinem weh tut und wenn man nicht aufpasst gewissen Ohrwurmcharakter entfaltet. Eher U- als E-Musik, aber ihre Bühnenpräsenz trägt über die vierzig Minuten des Slots. Unbestrittenes Highlight ist ihr Duett mit Daði Freyr, das ich hier auch mit anhänge.

Anspieltipp: Feel the Love

Whispering Sons

Letzter Act des Tages sind für mich die Whispering Sons. Dabei handelt es sich um eine fünfköpfige belgische Band, deren Stil mit Post-Punk gut beschrieben ist. Musikalisch finde ich das ganz gut, einzig mit dem Gesang der Frontfrau Fenne Kuppens kann ich mich nicht anfreunden.

Whispering Sons

Auf dem Konzert schob ich das darauf, dass die Soundmischung den Gesang nahezu untergehen ließ. Aber nachdem ich mich nachträglich in Ruhe noch durch ein paar Stücke gehört habe, ist es nicht besser geworden. Instrumental genau mein Ding, aber eine andere Stimme fände ich gut. Oder zumindest eine, die nicht versucht, Ian Curtis nachzuahmen – Dry Cleaning haben das auch geschafft.

Anspieltipp: The Talker

Fazit

Das Airwaves beginnt vielversprechend. Den meisten Sachen, bei denen ich gelandet bin, kann ich etwas abgewinnen, ohne vorher jemals davon gehört zu haben. Mein Highlight bis hierher sind Katarina Barruk wegen der emotionalen Gewalt ihres Auftritts und Elín Hall musikalisch und wegen ihrer Ansagen.

Ich bin gespannt, was die nächsten zwei Tage noch bringen.


Iceland Airwaves 2023
Donnerstag (02.11.2023) | Freitag (03.11.2023) | Samstag (04.11.2023)

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