Iceland Airwaves 2023 – Tag 3 (04.11.2023)

Auf zum dritten und letzten offiziellen Festivaltag. Die erste Hälfte des heutigen Programms ist ausschließlich weiblich, bis es dann zum Abschluss zu den Headlinern des Airwaves geht.

Una Torfa

Una Torfa

Als Kontrastprogramm zum letzten Act des gestrigen Abends geht’s heute los mit einer Solo-Gitarrenperformance. Una Torfa spielt auf einer Minibühne in einem Restaurant. Die lediglich isländische Beschreibung auf der Airwaves-Website ist nicht der Grund, weswegen ich mich hier eingefunden habe. Der Anspieltipp unten ist mir aber in guter Erinnerung aus der Einstimmungs-Playlist der Veranstalter*innen geblieben.

Das Konzert hat was von „Mutti kommt von der Wanderung heim und nimmt die Gitarre in die Hand“, sehr sympatisch. Abgesehen von den Ansagen zwischen den Liedern verstehe ich aber leider nichts. Macht nix, so kann ich zumindest das Gitarrenspiel Una Torfas bewundern.

Anspieltipp: Fyrrverandi

Fókus

Fókus

Gleiche Stelle, gleiche Welle (und weil sonst nichts auf meiner Agenda steht) geht’s weiter mit Fókus. Das sind fünf junge Frauen, die vor einigen Monaten einen isländischen Nachwuchswettbewerb gewonnen haben, in dessen Zuge sie jetzt bei Airwaves spielen dürfen. Ihren Stil würde ich Pop-Rock nennen, der an Balladen aus den 80ern anlehnt.

Möglicherweise durch die Größe der Bühne begrenzt sind sie heute nur zu viert am Start. Man merkt ihnen an, dass sie noch keine Bühnenroutine entwickelt haben, sondern ziemlich angespannt sind, dennoch liefern sie hier schon mehr Show ab als so manche alteingesessene Band. Die anwesenden Gäste werden zum Mitsingen animiert, es gibt Taschenlampen-Winken und Gitarrensoli. Das ganze hat Ecken und Kanten, aber trotzdem bin ich beeindruckt, welchen Sound sie trotz ihres jugen Alters und der vergleichsweise kurzen Bandgeschichte schon kreieren. Durch Fókus habe ich heute jedenfalls ein Stück meines Glaubens an die musikalischen Ambitionen der nächsten Generationen wiedergewonnen.

Anspieltipp: Blink Once

Anna Gréta

Als nächstes steht die islandstämmige und mittlerweile in Schweden ansässige Pianistin Anna Gréta in der Fríkirkjan an. Die Beschreibung sprach oft genug von Jazz, dass ich mir das nicht entgehen lassen wollte. Und um es vorweg zu nehmen, sie zählt zu einer meiner Entdeckungen, die ich im Auge behalten werde.

Anna Gréta

Anna Gréta spielt gefühlvoll Klavier und singt dazu, heute begleitet von Schlagzeug, Bass und Zweitstimme. Mir kam unweigerlich Joni Mitchell als Vergleich in den Sinn, aber auch die Belgierin Mélanie de Biasio durch den nuancierten Einsatz ihrer Stimme. Das mir am eindrücklichsten in Erinnerung gebliebene Stück wurde leider noch nirgends veröffentlicht, daher gibt es einen anderen

Anspieltipp: Sleepless

Als ich mir Anna Gréta auf dem Heimflug nochmal als Album auf die Ohren gab, wunderte ich mich, was mich daran denn so begeistert hat. Nachdem ich nun ein paar live eingespielte Videos wie das verlinkte gesehen habe, weiß ich es aber wieder. In diesem Sinne: Ich hoffe, künftige Veröffentlichungen gibt es auch mal in einer klassischen Jazztrio-Konstellation, denn das Album finde ich überproduziert. Anderenfalls kann ich nur empfehlen, sie mal live zu sehen.

Kónguló

Kónguló

Es geht weiter am Flügel mit Gesang, Bass- und Gitarrenbegleitung. Kónguló ist das Soloprojekt der isländischen Komponistin und Produzentin Herdís Stefánsdóttir. Da das ganz frisch ist, gibt’s noch nicht viel veröffentlichtes Material, aber was ich heute gehört habe, klingt vielversprechend.

Nicht für jeden Geschmack ist vielleicht Stefánsdóttirs Eingeständnis, dass sie sich nicht zwischen klassischen und elektronischen Klängen entscheiden kann. Die Stücke sind daher ein Griff in eine Wundertüte, es gibt mal das eine, mal das andere. Macht nichts, ich kann mit beidem was anfangen – und der Anspieltipp unten ist ein Banger. Dazu gibt’s wieder neonme am Mikrofon, die ich gestern schon mit eigenem Material gesehen habe.

Anspieltipp: The Water in me

Eydís Evensen

Eydís Evensen

Zum Abschluss der weiblich dominierten Fríkirkjan-Reihe gibt es die Komponistin und Pianistin Eydís Evensen, die ich von allen bis hier beim Airwaves auftretenden Acts schon am längsten auf dem Schirm habe. Auf ihr Konzert habe ich mich daher besonders gefreut. Sie spielt am Flügel begleitet von einem Streichquartett.

Zugegeben, auf CD haut mich nicht jede ihrer langsamen Kompositionen aus den Socken. Aber ihre melancholischen Stücke aus nahezu erster Reihe in einer Kirche mit exzellenter Akustik zu hören… ich hätte mir heute eher Augen- als Ohrenstöpsel gewünscht.

Anspieltipp: The Light I

Dieses Stück hatte ich übrigens auch gerade auf den Ohren, als die Pilotin des Rückflugs durchsagte, dass gerade Polarlichter auf meiner Fensterseite am Himmel zu sehen sind.


Nach diesem emotionalen Konzert geht es nun für die drei letzten Acts zur Hauptbühne des Festivals. Und das erste Mal beim diesjährigen Airwaves gibt es eine Schlange, sodass es eine Weile im einsetzenden eisigen Wind zu Warten gilt.

Squid

Gerade noch rechtzeitig schaffe ich es zu Squid in die Halle. Die fünf Briten sind erst kürzlich auf meinem Radar erschienen, sodass ich spontan überrascht wurde, ihren Namen im Festivalprogramm zu lesen. Sie spielen einen recht rockigen Stil mit punkigen und mathigen (wenn ich das so schreibe, ist das jetzt ein Wort) Einflüssen. Entfernt erinnert mich das an die frühen Foals.

Squid

Teilweise ganz gefällig kann mich das aber auf der großen Bühne heute nicht umhauen. Sie versuchen, ihre Stücke ineinander überfließen zu lassen. Prinzipiell kann das gut funktionieren, aber wenn das Publikum die Songs nicht kennt, fehlt der Anhaltspunkt, wann der Applaus einsetzen kann. Das scheint die Musiker auch sichtlich zu irritieren.

Die auf den Alben gut aufeinander abgestimmten Instrumente verschwimmen heute auch nur zu einem Brei. Da mir Squid noch recht neu ist, erkenne ich die Stücke nicht, der bislang einzige feste Bestandteil meiner Sammlung wird heute nicht gespielt.

Anspieltipp: The Cleaner

Ich bin mir nicht sicher, ob viel über die Soundmischung hätte gerettet werden können, oder ob die lange Halle des Kunstmuseums mit den glatten Wänden einfach keine gute Akustik für jegliche Art von Musik hat, die mehr als eine Handvoll Klänge gleichzeitig vermengen will.

Daði Freyr

Für den nächsten Act konnten sich offenbar alle meine Mitgereisten begeistern, obwohl er mir noch nie untergekommen ist. Kann aber auch daran liegen, dass ich kein ESC-Jünger bin. Dort hat Daði Freyr in den vergangenen Jahren bedingt durch eine Pandemie (die älteren unter uns erinnern sich vielleicht) einige Male etwas Pech gehabt. Das erste Mal, als er Island vertreten sollte, wurde der Wettbewerb komplett abgesagt, das zweite Mal konnte er aufgrund eines Quarantänefalls im Team nicht live auftreten.

Daði Freyr

Vergessen sind diese Zeiten, heute ist der Wahlberliner hier, und ganz viele Leute seinetwegen auch. Zum ersten Mal gibt’s draußen eine Schlange sagt er – und er steht nicht drin. Damit ist der Ton des Abends auch vorgegeben. Daði spielt hier vor Freunden, zwischen den Stücken wird viel mit dem Publikum gealbert.

Musikalisch ist das auch nicht schlecht, die Mucke hat Ohrwurmcharakter. Es gibt poppige Vierviertel mit Synthies, E-Gitarre und zum Teil Freyr selbst mit funky Basslines. Alles tanzbar und im Vergleich zur Vorgängerband auch nicht zu überladen an verschiedenen Sounds. Für diesen Stil ist die Halle also zumindest geeignet. Das Konzert verbreitet gute Laune, und ich kann mir den schlaksigen Hühnen gut in einem ESC-Setting vorstellen. Die Dekoration, das abgestimmte Bühnenoutfit aller Bandmitglieder und Gastrapper*innen und die Performance passen da wie der sprichwörtliche Arsch auf den Eimer. „12 points go to Iceland.“

Anspieltipp: I’m fine

Trentemøller

Letzter Headliner des Festivals ist der dänische DJ und Produzent Trentemøller, der heute mit Liveband auf der Bühne steht. Fans der elektronischen Tanzmusik ist er natürlich ein Begriff, sei es durch seine zahlreichen Remixes für bekannte Künstler*innen wie die Pet Shop Boys oder Röyksopp oder auch durch eigene Stücke. In meiner Musiksammlung findet sich daher auch der eine oder andere Track von ihm.

Trentemøller

Entweder hat er aber keinen davon heute gespielt, oder durch die in diesem Fall doch wieder arg kakophonische Soundmelange der Halle habe ich ihn nicht erkannt. Während des Konzerts sehe ich mich um und frage mich, wie die Leute die Lautstärke eigentlich ohne Gehörschutz überleben.

Auch zwischen den Stücken passiert nichts spannendes. Trentemøller gibt keinen Ton von sich, und auch das „Thank you“ zum Abgang muss man ihm von den Lippen ablesen. Vielleicht ist er eigentlich ein total schüchterner Typ, so gut kenne ich ihn nicht. Aber so entfaltet dieses Konzert für mich keinerlei Reiz außer den Schmerz in den Ohren.

Fazit

Das war nun also das Iceland Airwaves 2023. Trotz des durchwachsenen Abschlusses bin ich rückblickend sehr angetan davon, wieviel gute Musik ich hier entdecken konnte: Elín Hall, Katarina Barruk, Pastiche, Faux Real, Anna Gréta und Daði Freyr sind ein paar der Namen, zu denen ich in jedem Fall wieder gehen würde.

Auch die Organisation fand ich sehr angenehm. Es gab kein Gedränge an den Türen. Mal von der Schlange an der Hauptbühne zu den letzten Acts abgesehen kam man überall schnell rein und auch wieder raus, wenn’s doch nicht gefiel. Es gab auch keinen Stress mit der Garderobe: Pragmatisch standen überall Kleiderständer mit Bügeln, an die man einfach selbst die Jacke gehängt hat. Das setzt natürlich Vertrauen voraus, dass niemand die falsche Jacke wieder mitnimmt, aber ich habe keinen solchen Fall während des Festivals mitbekommen. Auch das Publikum war entspannt. Möglicherweise den horrenden Preisen (insbesondere für Alkohol) in Island sei Dank, habe ich nirgends pöbelnde Betrunkene gesehen, die die Stimmung vermiesen könnten.

Dafür gab es auch abseits des offiziellen Festivals zahlreiche musikalische Spontaneitäten. An einem Tag auf dem Weg zwischen zwei Konzerten legte kurz vor Mitternacht ein Hobby-DJ auf der Straße auf, ein paar Kinder und ein Feuerwehrmann tanzten dazu ausgelassen – das ganze bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. Ein anderes Mal kam mir eine Parade entgegen, aus dem Lautsprecherwagen tönte laut Queens „Don’t stop me now“. Ich habe mich wohl gefühlt.

Kurzum: Ich kann das Airwaves jedem empfehlen, der sich’s leisten kann.


Iceland Airwaves 2023
Donnerstag (02.11.2023) | Freitag (03.11.2023) | Samstag (04.11.2023)

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